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Manuelle Therapie bei CMD

Das Kiefergelenk ist ein beidseitiges, doppelschichtiges Gelenksystem, da beide Kiefergelenke sich immer gleichzeitig bewegen und ein Gelenk aus zwei Kammern besteht. Die Okklusion, also alle Kontaktbeziehungen zwischen Oberkiefer- und Unterkieferzähnen, sowohl während statischer als auch dynamischer Gleitbewegungen, ist koordinativ ein äußerst aufwendiger Prozess. Denn es erfordert ein hohes Maß an äußerst genauen Informationen, die vielen Kontaktpunkte der Zähne exakt aufeinander abzustimmen, und dies noch mit der richtig dosierten Kraft. Denn es ist ein Unterschied, ob jemand spricht oder ein Stück Zwieback zerbeißt. Daher ist der Kauapparat mit einer großen Menge Sinnesfühler ausgestattet. Dies unterstreicht die Behauptung, dass das Kiefergelenk Einfluss auf die Gleichgewichtssteuerung zu haben scheint. Die Aktivität der Kaumuskulatur ist über nervliche Verschaltungen eng mit der vorderen Halsmuskulatur verbunden. Stetige Entspannungsphasen der Muskeln sind sehr wichtig, um Störungen und Schmerzen zu vermeiden.

Behandlung anhand der manuellen Therapie bei CMD

Außerdem stellt die Kieferregion ein sehr komplexes System dar mit Verbindungen zu verschiedensten Bereichen wie z.B. Kopfgelenken, Ohr, Zungenbein, Schultern oder der Halswirbelsäule. Somit kann das Kiefergelenk durch seine mechanischen und nervlichen Verbindungen für eine Vielzahl von Beschwerden am Bewegungsapparat, aber auch in der HNO- und Zahnheilkunde, verantwortlich oder zumindest beteiligt sein.

Die craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) ist als Überbegriff für eine Vielzahl von Krankheitszuständen in der Kieferregion zu sehen, die viele verschiedene Ursachen haben kann. Cranium steht dabei für Schädel und Mandibula für den Unterkiefer. Der Grundstein für das Entstehen einer CMD kann schon in der frühkindlichen Entwicklung liegen. Hat ein Kind z.B. Polypen, atmet es nicht mehr durch die Nase sondern durch den Mund. Dadurch ist die Entwicklung des Unterkiefers gestört und es entwickelt sich ein Fehlbiss. Ähnlich störend können sich Angewohnheiten wie Daumenlutschen negativ auswirken. Der Verlust einzelner Zähne, aber auch Füllungen, Inlays, Kronen oder Brücken können erfahrungsgemäß eine CMD auslösen. Dazu scheinen schon Abweichungen im Mikrometer-Bereich zu reichen. Schmerzhaft degenerative und entzündliche Prozesse am Zahn und Zahnfleisch können die Mechanik des Kauens verändern.

Einer der wichtigsten Aspekte bei der Entstehung einer Kiefergelenkstörung scheint jedoch die Körperhaltung zu sein. Durch unseren "modernen" Lebensstil, mit einem gehörigen Mangel an Bewegung und vielen sitzenden Tätigkeiten, ist unsere Muskulatur vermutlich schlecht ausgebildet und wir befinden uns oft in einer typischen Fehlhaltung, bei der der Kopf vor dem Brustkorb steht. Durch diese sog. aufsteigende Belastung kann es zu einer Verspannung der Kaumuskeln und zu einer Rückführung des Unterkiefers kommen. In der Folge kann der Biss gestört (Malokklusion) und die Gelenkstrukturen überlastet werden. Gelenkknacken und Bewegungseinschränkungen können dann eine Frage der Zeit sein. Auch Schluckstörungen ("Kloß im Hals") können entstehen, da die Zungenbeinmuskeln häufig verspannt sind. Schulter-Arm-Syndrome werden oft beobachtet, da bestimmte Muskel- und Nervenverbindungen gereizt werden können. Die Erfahrung zeigt, dass durch eine absteigende Belastung selbst die Funktion der Kreuz-Darmbein-Gelenke (ISG-Gelenke) am Becken unter der Fehlfunktion der Kiefergelenke leiden kann, da diese die gesamte Muskulatur und Körperstatik zu beeinflussen scheint. Denn all diese Einheiten hängen mutmaßlich miteinander über die bindegewebigen Faszien zusammen, sodass es zu Rückenbeschwerden kommen kann.

Das Knirschen (Bruxismus) oder Beißen (bracing) können eine weitere Ursache für Störungen im Kausystem darstellen. Dies kann ein Zeichen für viel Stress bzw. Stressverarbeitung sein. Ferner ist es möglich, dass der Körper auf diese Weise einen Fehlbiss versucht auszugleichen und einen optimalen Zahnkontakt herzustellen. Üblicherweise kommt es im Tagesverlauf nur für wenige Minuten zum völligen Zahnkontakt (Okklusion), wie etwa bei der Nahrungsaufnahme. Bei "Knirschern" ist dieser Zeitraum deutlich länger. Es entsteht eine sehr hohe Spannung der Kaumuskulatur, was aktive Triggerpunkte zur Folge haben kann. Bei extremen Bruxismus kann es sogar zu einem Abrieb der Zahnsubstanz kommen (Abrasio). Die Patienten klagen dann oft über ein Spannungsgefühl in der Kieferregion beim Aufwachen, über Kopf- und Gesichtsschmerzen oder über eine endgradig eingeschränkte Mundöffnung.

Der Therapeut schaut sich bei der Untersuchung die Haltung des Patienten an, wobei er v.a. die Position des Kopfes und des Brustbeins bewertet. Er achtet auf Asymmetrien des Schädels, Verletzungen an der Zunge oder der Lippen, Mundtrockenheit, Brennen der Mundschleimhäute und auf einen vermehrten Tränenfluss. Danach untersucht er die Spannungszustände der beteiligten Muskeln und prüft die aktiven und passiven Bewegungen der Kiefergelenke. Auch Widerstandstests geben ihm wichtige Hinweise auf eine Störung. Sollte man über solche Symptome klagen, so ist eine zahnärztliche Abklärung anzuraten.

Bei der physiotherapeutischen Behandlung wird die aufrechte Körperhaltung geschult, bei der eine entspannte Kieferposition eingenommen wird (Unterkieferschwebelage) und eine Kiefergymnastik angeleitet. Dabei beginnt die Haltung schon mit einer korrekten Fußstatik, die bei Störungen evtl. mit einer ärztlichen Einlagesohle begleitend verbessert werden kann. Die so wichtige Nasenatmung sollte, falls es nötig ist, eingeübt werden. Hinzu versucht der Therapeut verspannte Muskeln etwa durch eine Triggerpunkttherapie zu behandeln. Dazu kann er außerhalb oder auch innerhalb der Mundhöhle arbeiten, so weit der Patient dies ausdrücklich gestattet. Anschließend können Bewegungseinschränkungen manualtherapeutisch angegangen werden. Dabei können Gelenke der Halswirbelsäule und die Kreuz-Darmbein-Gelenke mitbehandelt werden. Die Aufklärung des Patienten über die schädlichen Bedingungen unter schlechten Angewohnheiten (Bad Habits) wie etwa Knirschen, Pressen, das Kauen von Fingernägeln, das Drücken der Zunge an den Gaumen, übertriebenes Kaugummikauen oder etwa das lange Halten einer Pfeife mit den Zähnen, kann abschließend hinzu kommen. Diese störenden Mechanismen müssen dem Patienten klar werden. Das Anleiten zu Entspannungsverfahren und Selbstmassagen kann bei stressassozierten Störungen sehr wichtig sein und der Patient wird, wenn nötig, zu mehr Bewegung motiviert.

Diese Manuelle Therapie bei CMD wird nur von speziell weitergebildeten Physiotherapeuten durchgeführt.

Bei der Behandlung von Patienten mit einer CMD ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit v.a. mit dem Zahnarzt unerlässlich. Dieser wird die CMD z.B. mit einer individuellen Schienentherapie (Aufbissschiene, Knirscherschiene,...), permanentem Zahnersatz oder mit Einschleifmaßnahmen behandeln. Aber auch der Kontakt mit dem Orthopäden oder HNO-Arzt kann für eine erfolgreiche Therapie nötig sein.

Vom Patienten selbst ist ein hohes Maß an Eigenaktivität und Mitarbeit erforderlich.